André Malraux und das imaginäre Museum

Kunstgeschichte spannend erzählt: Walter Grasskamps Studie über ein berühmtes Photo Malraux‘
© C.H. Beck Verlag 2014

 

 

 

Walter Grasskamp, André Malraux und das imaginäre Museum
232 Seiten mit 65 Abbildungen, geb. mit Schutzumschlag und Leseband, C.H. Beck Verlag 2014, 29,95 Euro (D)

 

 

Die Etikettierung als Ikonografie wird in der Photographie gerade überstrapaziert. Eine Aufnahme des französischen Schriftstellers und einstmaligen Kultusministers André Malraux könnte diesen Titel wirklich verdienen. Eine lesenswerte Studie von Walter Grasskamp seziert das Photo, seine Bezüge und Geschichte.

 


Am 19.Juni 1954 erschien in Paris Match eine Reportage über den Autoren, Widerstandskämpfer und Aktivisten André Malraux, zu der Maurice Jarnoux Schwarz-Weiß-Aufnahmen beisteuerte. Eines dieser beeindruckenden Bilder sollte fortan Photo-Geschichte schreiben: Der 53jährige Malraux steht inmitten seines Salons, vor einem doppelten Flügel. Scheinbar konzentriert betrachtet er eine Doppelseite aus einem Photo-Buch. Die übrigen Doppelblätter liegen vor ihm sauber aufgereiht auf dem Boden. Malraux, der dandy, ist wie stets exzellent gekleidet, Hat ein bein leicht angewinkelt, was seine Konzentration noch größer erscheinen lässt.

 

 

Die gesamte Geschichte in der noch jungen Illustrierten ist eine einzige Eloge. Malraux wird als einer der größten lebenden Kunstkritiker dargestellt. Ein Zwischentitel lautet: »Als letzter Romantiker lebte er seine Romane«. Der Text nimmt zuvor gestrickte Legenden auf und zelebriert sie unkritisch.  Walter Grasskamp recherchierte, dass noch eine deutsche Romanausgabe die – zum Teil wohl frei erfundenen Stationen der Dandy-Biographie – nachbetete.

 

 

So soll Malraux Archäologie, Sanskrit und Chinesisch studiert haben, 1923 eine archäologische Expedition nach Indochina unternommen haben, um sich anschließend an der Chinesischen Revolution zu beteiligen. 1927 soll er dann nach Frankreich zurückgekehrt sein, um fortan für den bedeutenden Verlag Gallimard tätig zu sein. Heute ist bekannt, dass daran nur der anfang und der Schluss stimmen.

 

 

Die Geschichte in Paris Match nährte jedenfalls Malraux‘ Ruhm und war sicher nicht hinderlich an seiner weiteren Karriere. Die Story entstand in der politischen Auszeit von Charles de Gaulle.  Und die nutze der ehemalige Presseleiter von de Gaulles Partei für seine umfangreiche und nicht uneitle  publizistische Tätigkeit. Als der Übervater der französischen Nachkriegspolitik 1958 wieder in die Politik zurückkehrte, wurde Malraux sogleich Minister. Ein Jahr später wurde das Kultur-Ministerium neu geschaffen, dass der Vertraute de Gaulles dann bis zu dessen Rücktritt 1969 leitete.

 

 

Das Buch, das sich vor dem Gentleman ausbreitet, der im dunklen Einreiher souverän am Flügel lehnt, ist der erste Band des von ihm selbst herausgegebenen Imaginären Museums. Das ist ein auf drei Bände angelegte Weltgeschichte der Kunst, die alle Epochen und alle Teile der Erde berücksichtigt.

 

 

Walter Grasskamp untersucht in seinem spannend geschriebenen Buch die Vor-Geschichte der 1954 entstandenen Photos , ihre Nach-Wirkung und – besonders aufschlussreich – den Raum, der bei dem besagten Photo die Kulisse gibt. Zimmerreise nennt der Kunstkritiker und Professor für Kunstgeschichte in München das Kapitel. Und der Leser staunt nicht schlecht: Was so zufällig anwesend erscheint, ist bei näherer Betrachtung sorgfältig dorthin drapiert worden. Nichts hat der sehr auf seine Wirkung bedachte Schriftsteller und Kultur-Politiker Malraux dem Zufall überlassen. Wir wollen hier dem Kunst-Krimi nicht vorweg greifen. Lesen Sie’s selbst!