Leben und Meinungen des Andreas von Balthesser

Eines der wichtigsten klassischen Bücher zum Dandytum: Richard von Schaukals Andreas von Balthesser
© Edition Atelier 2013

 

 

 

Richard von Schaukal, Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser, eines Dandy und Dilettanten.
Edition Atelier, Wien, 2013, 144 Seiten, geb. mit Schutzumschlag und Leseband, 18,95 Euro.

 

 

 

»Der Mann, der etwas auf sich hält«, schreibt Richard von Schaukal alias Andreas von Balthesser, »im Geistigen wie im Physischen, wird ebenso seinen Intellekt wie seine Nägel pflegen, seine Wäsche ebensowenig wie seine Gedanken vernachlässigen, aber bei all seiner Korrektheit – denn dies ist das gültige Wort – niemals das Impromtu mißachten.«

 

 

Schaukals berühmtes Dandy-Brevier erschien zuerst 1907 – hat also inzwischen mehr als 100 Jahre auf dem Buckel. Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser, eines Dandy und Dilettanten gehört zu den wenigen bedeutenden Büchern über das Dandytum, die in deutscher Sprache verfasst worden sind. Ästhetisch und inhaltlich liegt es beinahe gleichauf mit der brillanten Studie von Jules Barbey d’Aurevilly Über das Dandytum und über George Brummell, von dem ein kleiner Auszug in der Neuausgabe von Schaukals Buch in der Wiener Edition Atelier abgedruckt ist.

 

 

Schaukal (1874-1942) studierte Rechtswissenschaften und quittierte nach einigen Jahren den österreichischen Staatsdienst, um sich als freier Schriftsteller in Wien zu verdingen. Er war befreundet mit Karl Kraus, Artur Schnitzler, Thomas Mann und dem Zeichner Alfred Kubin.

 

 

Wie der Herausgeber der Neuauflage, Alexander Kluy, schreibt, setzt sich die Reihe Wiener Literaturen, in der dies süffisante Büchlein nun erscheint, zum Ziel, Literatur zu präsentieren, die einen spezifischen Blick auf Wien eröffnet. Auf jeden Fall hat er sicher Recht, wenn er sagt, es erscheine »Ungewöhnliches und Zeitenüberdauerndes«. Denn Schaukal war mit seiner Häme nicht immer zimperlich. Wie es einem Dandy geziemt, legt er seinem Balthesser Sätze und Ansichten in den Mund, die mediokre Gemüter zusammenzucken lassen. So grenzt er den Dandy vom Gentleman ab. Der Gentleman sei der Ironie unfähig; der Dandy hingegen ironisiere sein Bewusstsein. Der Dandy ist vielfältig, facettenreich. Stärker als beim Gentleman fühlten sich die Philister, wie Oscar Wilde sie nannte, provoziert: »Der Ungeschliffene haßt instinktiv den Dandy. Der Joviale möchte ihn hänseln, gutmütig ‚aufziehn‘.« Jedoch: »Von dem Dandy gleitet alles ab. Er ist glatt und immer höflich. Höflichkeit ist glatter als polierter Stahl.«

 

 

Peter Härtling schrieb 1965 über das Buch: »In keiner Gestalt konzentriert sich das Wesen der Jahre zwischen 1870 und 1910 so anschaulich und extrem wie in der des Dandy […] In Deutschland hat der Dandy keinen Spielraum gefunden, eher schon in Österreich, das ihm jene Sprache gewährte, die in der Empfindsamkeit des Obenhin schwelgt und die gesellschaftlichen Floskeln wie Pistolenkugeln benützt.« Nun ist dieses kulturhistorisch und für die Theorie des Dandytums bedeutsame Buch endlich wieder lieferbar. Angereichert sind die Aperçus, Benimmregeln und dandyistischen Kodizes in dieser Ausgabe durch eine »kleine Dandy-Galerie«, Texte zur Männer-Mode und über Richard von Schaukal nebst einer Zeittafel seines Lebens.

 

 

Was fehlt, ist eine geistige Einordnung des Phänotypus. Was macht den Dandy denn nun eigentlich aus? Schaukal deutet es an, die hiesige Dandy-Galerie lässt es vermissen: Der Unterschied zum Gentleman ist der Geist der Revolte, der aus einem Bewusstsein der kulturellen Abstammung genährt ist. Oscar Wilde hätte hier nicht fehlen dürfen. Sein Essay über den Sozialismus ist theoretisches Rüstzeug des Dandys und macht den geistigen Habitus eines Ernst Jünger und die Provokationen von Karl Lagerfeld verständlicher. Das Dandytum des in der hiesigen »Dandy-Galerie« ebenfalls beschriebenen Sebastian Horsley (1962-2010) wurde vom Publikum nicht verstanden, weil es in seiner Performance verharrte. Ihm fehlte das Ziel. Ihm fehlte der Feind.

 

© Matthias Pierre Lubinsky 2013