Valeska Gert – Die Bettlerbar von New York

Valeka Gerts süffisante Geschichte ihrer Bettlerbar mit einer Titelvignette von Karl Lagerfeld
© Steidl Verlag/Karl Lagerfeld 2012

 

 

DANDY-CLUB Geschenk-Tipp No. 4:

Valeska Gert, Die Bettlerbar von New York. Mit einem Nachwort von Frank-Manuel Peter. L.S.D. Verlag 2012, 227 Seiten, gebunden in rotes Leinen mit Zellophanumschlag und einer Titelvignette von Karl Lagerfeld, 16 Euro.

 

Die Tänzerin Valeska Gert war in den 1920er und 1930er Jahren eine Berühmtheit. Und dies nicht nur in ihrer Heimatstadt Berlin, sondern durch ihre Tourneen und Emigration auch in Europa, Moskau und den Vereinigten Staaten. Heute bekannt ist ihr Wirken nur noch wenigen: in der Tanztheorie, in der Pantomime oder auf Sylt, wo sie viele Jahre ihr Kabarett weiterbetrieb.

Nun veröffentlicht der L.S.D. Verlag ihr Buch Die Bettlerbar von New York neu, nachdem es viele Jahrzehnte nicht mehr lieferbar war. Hierin schildert die ungewöhnliche Lebenskünstlerin ihr Leben in und mit der von ihr begründeten Bar, die zwischen 1941 und 1945 so etwas wie das Wohnzimmer der New Yorker Bohème war.

Valeska Gert hieß eigentlich Gertrud Valesca Samosch und wurde 1892 in Berlin geboren. Sie wohnte mit ihren Eltern in der Köpenicker Straße. Bereits mit fünf Jahren erhielt sie auf Veranlassung ihrer Mutter Tanzstunden; mit 16 Schauspielunterricht. Recht kurze Zeit, nachdem sie 1916 als Tänzerin debütierte, wurde sie bekannt: Denn sie provozierte das Publikum mit Tanzpantomimen von Sujets wie Boxen, Politiker, Nervosität oder Prostitution. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten hielt sie sich die meiste Zeit im europäischen Ausland auf. 1939 emigrierte sie in die USA, wo sie zwei Jahre später die Beggar Bar eröffnete, eine Kombination aus Bar und Kabarett. Den Namen lieferte ihr der Umstand, dass sie keinerlei Geld hatte und sich die gesamte Ausstattung bei Freunden und Bekannten zusammenschnorrte, ‚erbettelte‘. Süffisant und grundehrlich beschreibt die Künstlerin, wie steinig der Weg bis zur Eröffnung gewesen ist.

Als ich im düsteren Keller, barfuß und in farbverschmierten Hosen, die Wand bemalte, kam ein robuster Polizeioffizier, um das Lokal zu inspizieren.
‚Was machen Sie hier?‘ fragte er unfreundlich.
‚Einen Night-Club.‘
‚Wer ist der Besitzer?‘
‚Ich.‘
‚Sie?‘
Er war sprachlos.

Die wildesten Ideen brachte sie in ihre Bar ein, um den weltlichen Widrigkeiten etwas entgegen zu setzen. So bastelte sie die Tischdekoration selbst, bemalte selbst die Wände und stellte an Stelle von Lampen Kerzen auf. Bereits am ersten Abend war die Kellerbar überfüllt. Als Valeska Gert freudestrahlend am nächsten Morgen den Kellner nach dem Umsatz fragte, wurde sie barsch enttäuscht: Sie hatte ihn gebeten, eine Frau und einen Mann für die Toilette zu organisieren. Die sollten freie Kost den ganzen Abend erhalten. Der Kellner hatte all seine Bekannten angerufen; sie alle sagten am Telefon ab – waren aber dann doch alle gekommen. So hat am ersten Abend niemand gezahlt.

So wie das Leben dieser Ausnahmefrau, so sind auch ihre Schilderungen der Bettlerbar. Aber keiner Widrigkeit konnte sie nicht phantasievoll entgegenwirken. Sie hatte Gäste und Helfer, die später weltberühmt wurden. Tennessee Williams arbeitete bei ihr kurzzeitig als Kellner und trug dann auch Gedichte in der Bettlerbar vor. Klaus Kinski verkehrte bei ihr und sollte Jahre später in einem Film über die Bettlerbar mitspielen, der dann doch nicht zustande kam. Eingeflochten in die Geschichte dieser heute legendären Vergnügungsstätte sind Kapitel über ihre Kindheit, die Schulzeit, über ihre Münchner Zeit. Das stilvolle Buch behält die wenigen Schwarz-Weiß-Photos von Valeska Gert bei, die bereits in der ersten Ausgabe im Jahr 1950 im Berliner Arani Verlag enthalten waren.

Valeska Gert selbst war eine Künstlerin von ungeheurer Modernität. Ihre avantgardistischen Tanz-Soli waren ihrer Zeit weit voraus und beeinflussten die Jahrzehnte danach. Noch in den 1960er Jahren fanden sich Tänzer und Tänzerinnen fortschrittlich, – die letztlich in den Fußstapfen von Valeska Gert agierten.

Valeska Gert starb 1978 in Kampen auf Sylt.