Frédéric Bazille, Das Atelier von Bazille, 1870
Vermächtnis Marc Bazille 1924
© Musée d’Orsay, Paris
Mythos Atelier. Von Spitzweg bis Picasso, von Giacometti bis Nauman.
Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart noch bis 10. Februar 2013.
Katalog hrsg. von Ina Conzen, Hirmer Verlag, München 2012, 280 Seiten, 235 Abbildungen, 45 Euro.
Nachdem der französische Schriftsteller Jean Genet den Künstler Alberto Giacometti in dessen Atelier besucht hatte, schrieb er das Buch Das Atelier von Alberto Giacometti, das 1958 erschien. Es ist eine In-Beziehung-Setzung des Künstlers mit dem Raum, in dem er seine Kunst schafft. Genet schreibt: »Diese Fähigkeit, ein Ding zu isolieren und ihm seine eigene, seine einzigartige Bedeutung einzugeben, ist nur möglich, wenn der Betrachter taub wird gegen die Geschichte. Er muss eine außerordentliche Anstrengung machen, um sich von jeglicher Geschichte zu befreien, so dass er nicht zu einer Art ewigen Gegenwart wird, sondern eher zu einem Schwindel erregenden ununterbrochenen Rennen von einer Vergangenheit zu einer Zukunft, einem Schillern von einem Extrem zum anderen, das jedes Ausruhen verhindert.«
Eine großangelegte Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart widmet sich umfassend dem Thema: Mythos Atelier. Von Spitzweg bis Picasso, von Giacometti bis Naumann (noch bis 10. Februar 2013). Mit einer Ausstellungsfläche von 2.500 qm ist es eine der größten Sonderschauen in der Geschichte der Staatsgalerie Stuttgart.
Zu sehen sind verschiedene Ateliersituationen vom 19. Jahrhundert bis heute. Über 70 Künstler, 185 Exponate, darunter 108 hochrangige Leihgaben aus international bedeutenden Museen und Sammlungen, umfasst die »Große Landesausstellung Baden-Württemberg 2012«. Die Darstellung ihres Ateliers ist für Künstler eine Präsentation ihrer Ästhetik und ihres Schaffens und somit stets auch Programmbild.
Gezeigt werden die unterschiedlichen Medien Malerei, Photographie, Video und Installation von der Romantik bis in die Gegenwart. Im frühen 19. Jahrhundert wird das Atelier als Ort künstlerischer Schöpfung zu einem eigenen, zu einem zentralen Thema in der Bild-Kunst. In der Romantik symbolisiert die Atelier-Darstellung geistige Einhalt und Kontemplation. Caspar David Friedrich ließ sich 1811 gleich einem Mönch in seiner Klause portraitieren von Georg Friedrich Kersting: Ein karger Raum, nur mit einem kleinen Tisch für die Maluntensilien und der Staffelei; der Künstler ohne jedwede Ablenkung voll konzentriert auf sein Schaffen. Für andere Maler der Zeit steht das Atelier als Zufluchtsort gesellschaftlich geächteter Kunst. Aber auch als prunkvoller Repräsentationsraum für Malerfürsten wie Hans Makart dient es und erfährt damit eine kultische Aufwertung.
In der Klassischen Moderne erfährt das Thema des Künstlerateliers vielleicht seine wichtigste Ausprägung. Zentrale Atelierbilder des frühen 20. Jahrhunderts wie das Gemälde Atelier des Künstlers am Brandenburger Tor in Berlin (1902) von Max Liebermann zeugen von einem neuen Selbstbewusstsein von Künstlern, deren Person und Schaffen in der Öffentlichkeit kritisch beäugt werden. Sie leiten über zu Schlüsselwerken der Klassischen Moderne von Pablo Picasso, Henri Matisse, René Magritte, Ernst Ludwig Kirchner, Gabriele Münter, Giorgio de Chirico oder Georges Braque, die heute wiederum das allgemeine Bewusstsein ausmachen. Eine eigene Rolle zu spielen scheint Alberto Giacometti, dessen Werke im Atelier, wo sie erschaffen worden sind, gleichsam zu Hause wirken, eingebettet, geschützt. Hier und nirgendwo sonst scheinen sie hin zu gehören. Nicht zufällig sind die Photos von Giacomettis Atelier die eindrücklichsten in den Katalogen seiner Ausstellungen.
Er selbst wusste dies scheinbar genau, denn er verstand es, sich gegenüber ausgewählten Photographen zu inszenieren, wie überliefert ist. In der Ausstellung ist dem Schweizer Künstler ein eigener Raum gewidmet mit Photographien, Skulpturen, Gemälden und originalen Atelierwandfragmenten.
Im Ausstellungs-Katalog beschreibt Véronique Wiesinger den Schöpfer Giacometti und sein Atelier in einem informativen Beitrag. Der Katalog dokumentiert beinahe alle Stücke der großen Ausstellung. Die Textbeiträge lassen den Folioband zu einem Handbuch zum Thema werden. Die Kuratorin Ina Conzen führt profund ins Thema ein und macht die Bedeutung des Ateliers für den Künstler deutlich: »Wissen Sie, was es mit dem Atelier eines Malers auf sich hat, bürgerlicher Leser?«, fragte Théophile Gautier 1831: »Es ist eine Welt, ein eigenes Universum für sich, das in nichts unserer Welt gleicht; – eine märchenhafte Welt, wo alles zu den Blicken spricht, wo alles Poesie ist«.
Matthias Pierre Lubinsky
Max Liebermann, Atelier des Künstlers am Brandenburger Tor in Berlin, 1902
© Kunstmuseum St. Gallen
Mythos Atelier in der Staatsgalerie Stuttgart