Jörg Magenau – Brüder unterm Sternenzelt

Jörg Magenaus Biographie von Friedrich Georg und Ernst Jünger ist eine Imagination – und eröffnet die Jünger-Rezeption im 21. Jahrhundert bar jeglicher ideologischer Vorurteile

 

 

Jörg Magenau, Brüder unterm Sternenzelt – Friedrich Georg und Ernst Jünger. Eine Biographie. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2012, 320 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag Euro 22,95.

 

Darf man das? Eine Art von Biographie über Friedrich Georg und Ernst Jünger schreiben, die eine Imagination ist?

 

Der Berliner Literaturkritiker Jörg Magenau tat es. Er verfasste ein über 300 Seiten starkes Buch, das sich dem bedeutenden Bruder-Paar annähert über eine bildlich-anschauliche Vorstellung: So könnten sie gedacht haben, das könnten sie gefühlt haben. Das Unterfangen dieses biographischen Versuchs ist heikel – fürwahr. Jörg Magenau imaginiert allerdings nicht aus luftleerem Raum. Vielmehr hat er die beiden Schriftsteller studiert. Nicht nur ihre Bücher, also die Primärquellen ihres Schaffens, sondern auch ihren bis dato unveröffentlichten Briefwechsel, der äußerst umfangreich ist. Auch die Korrespondenzen mit gemeinsamen Bekannten liegen dem Buch zugrunde »Brüder unterm Sternenzelt – Friedrich Georg und Ernst Jünger. Eine Biographie«. Autor Magenau war an den Orten, die die Brüder prägten, so in Rehburg am Steinhuder Meer, wo sie aufwuchsen und intensive Naturerfahrungen sammelten.

 

Die neue Biographie ist nicht rein chronologisch aufgebaut. Zwar zieht sich ein zeitlicher Faden durch, der von der frühen Kindheit der beiden bis zum Tode von Ernst Jünger reicht. Dennoch wird dieser immer wieder durchschnitten durch das Jahr 1996, das im Leben des da bereits über 100-jährigen Ernst Jünger vielfältige Ereignisse brachte. In diesem Jahr, zwei Jahre vor seinem Tod, schloss Ernst Jünger endgültig seinen Füllfederhalter und legte ihn auf den Tisch. Das Werk war vollbracht. Magenau imaginiert einfühlsam und stimmig ein Rückblicken Ernst Jüngers auf sein Leben. Der Leser gewinnt beinahe den Eindruck, hier schriebe ein guter Freund, der die Jünger-Brüder über viele Jahrzehnte begleitet hat. Erstaunlich.

 

 

Die Jünger-Villa in Rehburg am Steinhuder Meer
© DANDY-CLUB 2006

 

Jörg Magenaus stilistischer Versuch ist so gewagt – wie gelungen. Dem Text ist die intensive und intime Beschäftigung des Autoren mit seinem biographischen Subjekt anzumerken. Es ist dem Biographen tatsächlich gelungen, eine Nähe zu den Jünger-Brüdern zu erhalten und an den Leser weiter zu geben, die man bisher nirgendwo lesen konnte. Die Stärke der großen Biographie über Ernst Jünger von Heimo Schwilk ist, dass diese sich in Jünger hineindenkt und sein Leben schildert – über das geschriebene Werk hinaus. Daran mangelt es der anderen großen Biographie von Helmuth Kiesel; sie ist eher eine Werkbiographie und vermag die Person dahinter nicht eindringlich zu charakterisieren.

 

Das intensivste Kapitel des Buches ist der Prolog. »Er wartete nicht auf den Tod. Der Tod war immer schon da, war ein Bruder, ein guter Freund. Irgendwann würde er ihm die Hand reichen und hinübertreten auf die andere Seite der Dinge. Das wäre ein einfacher Vorgang, leichter noch als der Weg die Treppe hinab und hinaus in den Garten, wo unter der Blutbuche der Winterling blühte und die Krokusse ihre ersten Spitzen zeigten. Vielleicht ließ dieser Augenblick nur deshalb so lange auf sich warten, weil er ihn nicht fürchtete – seit jenem Tag vor bald achtzig Jahren nicht mehr, als beim Sturm auf Favreuil ein Geschoss seine Lunge durchschlug und er in den Graben und für einen Moment auch aus dem Leben und aus der Zeit stürzte.«


Letztlich ist die Qualität der ersten Biographie aus dem Verlag von Ernst und Friedrich Georg Jünger einem Paradoxon zu verdanken. Jörg Magenau will nicht werten; er will seinen Lesern nicht die Entscheidung abnehmen. Sie sollen selbst noch Bilder in ihren Köpfen entstehen lassen können – ohne dass der Biograph bereits alles entschieden hat. Da der 1961 geborene Autor kaum urteilt, hat er die Möglichkeit, tief in die Gefühlswelt der Jünger-Brüder einzudringen. Dadurch gelingen ihm Sätze wie der: »In seinem Arbeitszimmer duldete er keine mechanischen Uhren. Ihr Ticken hätte ihn in den Takt der Unruhe hineingezwungen, ihn umstellt, eingehegt, niedergehalten. Doch seine Gedanken und Träume sollten ausschweifen. Schreiben hieß, die Zeit aufzuheben.«


Woher weiß Jörg Magenau das? Er weiß es, das genügt.

 

DANDY-CLUB Empfehlung!