Dan Franck – Montparnasse und Montmartre

Dan Francks Beschreibung von Montmartre zu Beginn des 20. Jahrhunderts

 

 

 

Dan Franck: Montparnasse und Montmartre. Künstler und Literaten in Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Parthas Verlag Berlin, 2011, 568 Seitem gebunden mit Schutzumschlag, zahlreiche Abbildungen, Euro 28,00.

 

Montparnasse und Montmartre sind französische Heiligtümer. Diese beiden Hügel im Norden von Paris zogen zu Beginn des 20. Jahrhunderts scharenweise Künstler an, von denen später eine ganze Reihe Weltruhm erlangen sollte. Picasso mag der bekannteste von ihnen sein. Der spanische Maler hielt sich im Jahr 1900 in Paris auf anlässlich der Weltausstellung. Eines seiner Bilder, Les Derniers Moments, war von seinem Land zur Repräsentation ausgewählt worden. Der aufstrebende Künstler trifft sich mit spanischen Freunden vom Montmartre – und beschließt zu bleiben.

Die Galerie der Künstler, die etwa zwischen 1900 und 1930 hier lebten und arbeiteten, ist legendär: Paul Verlaine, Max Jacob, Max Ernst, André Salmon, Guillaume Apollinaire, Utrillo, Toulouse-Lautrec, Jean Cocteau, Man Ray, Louis Aragon, Tristan Tzara, Robert Desnos…

Heute ist davon nichts mehr übrig. Japanische Touristengruppen schieben sich über die Place du tertre und photographieren sich gegenseitig vor den Cafés, die mit der Aura des Ortes rein gar nichts mehr gemein haben. Der französische Publizist Dan Franck gibt uns die Möglichkeit, in die Atmosphäre der Blütezeit von Montmartre und Montparnasse einzutauchen. Sein monumentales, beinahe 600 Seiten umfassendes Buch, erschien zuerst 1998 in Frankreich und sorgte für Furore. Zurecht, versteht es Dan Franck doch meisterhaft, die Geschichte greifbar zu erzählen. Der Autor mischt Anekdoten mit historischen Eck-Ereignissen, fügt sie an einer Perlenkette gekonnt zusammen. So entsteht eine veritable Kultur-Geschichte, die der Leser nicht mehr aus der Hand legen mag.

Beispielhaft für die Erzählkunst des 1953 geborenen Autoren sei ein Absatz zitiert, der den Leser in eine Geschichte zieht:

»Eines Tages im Jahr 1928 sitzt Youki Foujita im Cigogne in der Rue Bréa. An einem Nachbartisch lacht ein Mann im Smoking so sehr, dass die junge Frau sich bald gestört fühlt. Eine Haarsträhne fällt ihm ins Gesicht, während er mit ein paar Strohalmen spielt. Weil sie sich dafür zu interessieren scheint, kommt er an ihren Tisch und zeigt ihr das neueste surrealistische Spiel: Er steckt die Verpackungen der Strohalme so zusammen, dass eine Papierspinne entsteht, und als er einen Tropfen Wasser auf das Tier fallen lässt, bewegt es die Beine. Der Mann bricht in Gelächter aus und stellt sich vor: Robert Desnos. Youki bleibt jedoch eiskalt.«

Später werden sie ein Paar. Eindrucksvoll beschreibt Franck die Schauprozesse Bretons, wenn ihm wieder einmal einer der Mitstreiter nicht mehr genehm geworden ist. Der französische Autor mit dem amerikanischen Namen vermag die Atmosphäre in den dunklen Zimmern, als die Freunde so urplötzlich zu ehemaligen wurden, so zu schildern, als sei er selbst dabei gewesen.

Mann hält dies dicke Buch in Händen und flaniert durch die Künstlerviertel, die Kneipen und Cafés, man ist dabei, bekommt beim Lesen quasi den Rauch ins Gesicht geblasen und riecht den Absinth. Franck kann schreiben. Danken wir ihm, dass er sich interessanten Stoff ausgesucht hat. Fast sind wir gewillt, in den nächsten Flieger zu steigen und die Orte aufzusuchen, wohin hin uns die Phantasie bei der Lektüre entführt. So ist das Buch zugleich leicht erzählte Kunstgeschichte wie ein süffisanter Reiseführer für denjenigen, der einen Ort nicht nur körperlich betreten haben will, sondern dessen Air wahrnehmen möchte.

Die deutsche Ausgabe ist dem Text adäquat bebildert: Photos von Eugène Atget und Portraits der Protagonisten erhöhen die Lesefreude. Eine kurze Auswahlbibliographie lädt ein zum Weiterschmökern.

 

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