Ernst Jünger in Bildern und Texten

Buch-Cover
 
Ernst Jünger reflektierte 1934 nach seiner existentiellen Grenzerfahrung des Ersten Weltkrieges über den Menschen der Zwischenkriegszeit:
»Wenn man den Typus, wie er sich in unseren Tagen herausbildet, mit einem Worte kennzeichnen sollte, so könnte man sagen, daß eine seiner auffälligsten Eigenschaften im Besitz eines ‚zweiten‘ Bewußtseins besteht. Dieses Zweite und kältere Bewußtsein deutet sich an in der sich immer schärfer  entwickelnden Fähigkeit, sich selbst als Objekt zu sehen.«
Von sich selbst und seinem eigenen Anspruch sprach Jünger wohl nicht zuletzt, – in seinem Essay »Über den Schmerz«, aus dem diese Passage ist. Von seinen Kritikern, die Jünger seine kalte Distanz, seinen beinahe undurchdringlich scheinenden Panzer vorwarfen, ist übersehen worden, dass es sich dabei um einen Selbstschutzreflex handelte. Dies ist jüngst bestätigt worden durch ein beeindruckendes Interview mit seinem Verleger Michael Klett. Klett erzählt, dass sich Jünger bei besonders schmerzhaften Lebenssituationen selbst körperlich verletzte – heute nennen das die Psychologen: ritzte – um den seelischen Schmerz durch einen physischen zu übertrumpfen. Eigens für diesen Zweck soll Jünger stets eine Nadel am Jackett getragen haben.
Es ist diese Distanziertheit, diese dandyeske Verpanzerung, gepaart mit ungeheurer Sensibilität, die wiederum die Voraussetzung ist für ein möglichst objektives Wahrnehmen des Geschehens. Jünger wählte für diesen seinen Anspruch des möglichst neutralen Beobachterpostens die Vokabel der désinvolture,  ein so nicht ins Deutsche übertragbares Wort. Heimo Schwilks nun in erweiterter und aktualisierter Form neu veröffentlichte Bild-Biographie gibt davon anschaulich Zeugnis. Bereits die erste Ausgabe enthielt 1988 unzählige Bild- und Textdokumente, die zuvor noch nie veröffentlicht worden waren. Nun erweiterte der Jünger-Biograph dieses Standardwerk um das letzte Lebensjahrzehnt  Ernst Jüngers, der am 17. Februar 1998 nur wenige Wochen vor seinem 103. Geburtstag starb.
Dem fulminanten werkbiographischen Essay Schwilks ist dessen detaillierte Kennerschaft von Werk und Leben Jüngers anzumerken. In dem hinzugekommenen, dem nun abschließenden Teil »1988 – 1998. Die Toten kommen näher« schreibt der Biograph: »Auf die Jahreswende 1997/ 98 geht Jünger mit dem festen Vorsatz zu, dem Tagebuchzyklus ‚Siebzig verweht‘ noch einen weiteren Band hinzuzufügen, doch es gibt auch Zeichen des Abschieds. Auf einen Kartengruß an die Freunde läßt er ein Selbstzitat drucken, in dem er sich auf Charon bezieht, den Fährmann, der die Verstorbenen über den Fluß Styx zur Toteninsel übersetzt: ‚Der Styx beginnt zu schimmern; er lädt ein.‘«
Das opulente, großformatige Buch Ernst Jünger – Leben und Werk in Bildern und Texten ist Vorbild gebend für eine Buchgattung, die versucht, sich einem Schriftsteller zu nähern durch die Zusammenstellung von Photodokumenten mit Texten aus dem Werk und Auszügen aus Briefen. Das dient nicht nur Lesern, die gerade anfangen, sich für Jünger zu interessieren. Auch diejenigen, die bereits vieles wissen über die Biographie des Jahrhundert-Diaristen, die einige seiner Bücher gelesen haben, erhalten neue Hinweise. Ein weiterer Vorteil der Neuausgabe neben der Ergänzung um das letzte Jahrzehnt ist die neue Gewichtung vieler Photos, die der Klett-Cotta Verlag nun wesentlich größer bringt.
Jünger selbst stand der Photographie skeptisch gegenüber. Schwilk zitiert an das erste Zitat dieser Rezension anschließend eine weitere Passage aus »Über den Schmerz«, in der Jünger die Photographie als »revolutionäre Tatsache« bezeichnet. Seit dem Ersten Weltkrieg gebe es kein bedeutendes Ereignis, konstatiert Jünger, das nicht auf diese Weise aufgenommen wurde:
»Das Bestreben läuft darauf hinaus, auch Räume einzusehen, die dem menschlichen Auge verschlossen sind. Das künstliche Auge durchdringt die Nebelbänke, den atmosphärischen Dunst und die Finsternis, ja den Widerstand der Materie selbst; optische Zellen arbeiten in den Abgründen der Tiefsee und der großen Höhe der Registrierballons.« Jünger ist allerdings der Auffassung, dass der kalte und teleskopische Blick der Kamera dem des Menschen entspreche. »Die Aufnahme steht außerhalb der Zone der Empfindsamkeit.« 
So kommt der durch den Grabenkrieg Geprägte zu dem Schluss: »Die Photographie ist also ein Ausdruck der uns eigentümlichen, und zwar einer grausamen, Weise zu sehen. Letzten Endes liegt hier eine Form des Bösen Blickes, eine Form von magischer Besitzergreifung vor. Das empfindet man sehr wohl an Stätten, an denen noch eine andere kultische Substanz lebendig ist. Im Augenblick, in dem eine Stadt wie Mekka photographiert werden kann, rückt sie in die koloniale Sphäre ein.« 
Heimo Schwilks äußerst gelungene Bild- und Textbiographie gibt dem an Ernst Jünger Interessierten Gelegenheit, dies zu überprüfen.

Heimo Schwilk (Hg.), Ernst Jünger – Leben und Werk in Bildern und Texten. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2010, 336 Seiten, gebunden, mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen, bis zum 31. Januar 2011 Euro 49,95, danach 59,95.