Was hatten Beau Brummell, Oscar Wilde und Andy Warhol gemeinsam? Wir rezensieren die neue Studie von Micheal R. Müller „Stil und Individualität – Die Ästhetik gesellschaftlicher Selbstbehauptung“ aus dem Münchner Wilhelm Fink Verlag.
Alle drei »boten ihrem Publikum ein aufwendig stilisiertes Erscheinungsbild«, schreibt Müller. Dieses Bild war jeweils der individuelle Versuch, in einer sich radikal modernisierenden Gesellschaft sich herauszuschälen, sich abzugrenzen. Allen drei galt die Gewinnung und Darstellung von Individualität als Lebensmaxime.
Beim Urdandy Beau Brummell (1778-1840) sieht Müller das ungewöhnliche Maß am Bemühen um Selbststilisierung, – gleich seiner beiden Nachfolger Oscar Wilde (1854-1900) und Andy Warhol (1928-1987). Brummell habe »das rustikale Erscheinungsbild des Gentleman« zu einer »von aller Alltagspragmatik bereinigten Ästhetik souveräner Persönlichkeit« weiterentwickelt. Lehrreich ist die Interpretation des Auftragsaquarells, das Richard Dighton 1805 von Brummell anfertigte. Es zeugt von selbstbewusster Distanziertheit des gutaussehenden jungen Mannes (Brummell war da 27 Jahre alt und dabei, sein Dandytum zu perfektionieren.), die jedoch nicht in Unfreundlichkeit abgleitet. Ein weiteres Novum in der bislang spärlichen deutschen Brummell-Literatur ist die Bezugnahme auf das englische Gentleman-Ideal. Entgegen landläufiger hiesiger Auffassung ist der Herr eben Gentleman aufgrund von Humor, Schlagfertigkeit, Intelligenz und Stilsicherheit. Vermögen oder familiäre Herkunft sollen hierfür keine Rolle spielen. Ohne dieses Ideal ist die Sozialfigur des brummellschen Dandys nicht zu verstehen. Die Unabhängigkeit, die den Gentleman ausmacht war es, die Brummell auf die Spitze trieb.
Lesenswert ist auch das sechste Kapitel »Aura der Unzulänglichkeit. Die emphatische Oberflächlichkeit Andy Warhols«. Nicht nur der Pop-Ikone Spiel mit Medien und Öffentlichkeit werden dargestellt und problematisiert. Sondern auch die Reflexion seines Produzierens, Äußerns, Verhaltens durch Öffentlichkeit und Medien und deren Wiederum-Aufnahme in das Eigene. Das macht es letztlich so schwer, das eine vom anderen zu trennen. Zugleich ist es essentieller Teil des Gesamtkunstwerkes ‚Andy Warhol’. Zahlreiche Fotos und Bilder von Warhol, die meisten stammen von ihm, begleiten den Text. Sie verdeutlichen Warhols Negation jedweder künstlerischen Autonomie und Kreativität.
Eine Schwäche der Untersuchung ist die Perzeption der jeweils analysierten Figur ausschließlich im Fenster ihrer Zeit. Bedeutsam wäre gerade bei den großen Selbstdarstellern, um nicht zu sagen Dandys, die Berücksichtigung von Rückblick, Interpretation und eventueller Berufung der Figuren auf ihre Vorläufer. So ist von Oscar Wilde bekannt, dass er sich mit Brummell beschäftigt hat. Otto Mann hat in seiner noch heute maßgeblichen Doktorarbeit bei Karl Jaspers »Der moderne Dandy – Ein Kulturproblem des 19. Jahrhunderts« (1926) geschrieben, der Dandy »will aufhören, an einer Zeit zu leiden, die er verachtet; er durchdenkt seine Machtmittel und faßt den Plan, die Gesellschaft durch ihre eigenen Gesetze zu schlagen«. Diese Gesetze waren im Regency, wo die Mode herrschte, andere als im prüden viktorianischen England Wildes. Hier bleibt die Untersuchung lückenhaft, sieht Müller beispielsweise nicht, dass Wilde anfänglich auch von vielen Londonern kopiert worden ist. Mann kommt zum Ergebnis, trotz gegensätzlichen ersten Anscheines habe Wilde das Dandytum im 19. Jahrhundert wiederbelebt. Die Gemeinsamkeit der drei Rollen ist deren Wille, »in einem Akt kultureller Realisation«, wie es Mann formuliert, »über die begrenzte Gültigkeit« ihres Ichs zu erheben. Dieses Selbst wird nun zum »Verwirklicher von Ideen, die an der Zeit sind für ein höher[es] Allgemeines«. So sind es möglicherweise die bislang nur punktuell analysierten Gemeinsamkeiten von Brummell, Oscar Wilde, Ernst Jünger, Karl Lagerfeld und anderen dandyesken Persönlichkeiten, die zukünftige Generationen beschäftigen werden.
Michael R. Müller: Stil und Individualität. Die Ästhetik gesellschaftlichr Selbstbehauptung. Wilhelm Fink Verlag 2009. 263 S., 39,90 Euro.
Die vollständige Rezension finden Sie hier:
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